Dengue-Fieber: Die unterschätzte Krankheit by Spiegel magazine

Hamburg - Eine gefährliche Karriere: Innerhalb weniger Jahrzehnte ist das von Viren ausgelöste Dengue-Fieber zu einer der gefährlichsten Infektionskrankheiten der Welt aufgerückt, warnen Gesundheitsexperten. Vor 1970 sei die Tropenkrankheit nur aus neun Ländern bekannt gewesen. Nun seien infizierte Überträgermücken bereits in über hundert zumeist tropischen Staaten verbreitet. Das in schweren Fällen zu inneren Blutungen führende Leiden hat die Weltgesundheitsorganisation WHO erstmals in den fünfziger Jahren bei größeren Ausbrüchen auf den Philippinen und in Thailand registriert. Mehr als 40 Prozent aller Menschen lebten in Dengue-Gebieten.

Ausbreitung des Dengue-Fiebers: Dreidimensionales Modell zeigt die Vermehrung

Das seien ähnliche Zahlen wie bei Malaria, die aber nach Einschätzung der WHO in den Jahren 2004/2005 ihren Höhepunkt überschritt und rückläufig sei, sagt Andreas Stadler, Gesundheitsexperte der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Eschborn. Dengue hingegen breite sich weiter aus.
Weltweit gesehen könnten die Dengue-Viren möglicherweise sogar mehr Menschen töten als die Malariaerreger, meint Stadler, denn die Dengue-Symptome seien nicht eindeutig und würden beispielsweise in Malariaregionen oft als Malaria diagnostiziert. Letztere sei in diesen Gebieten meistens ebenfalls im Blut nachweisbar. Bei Malaria genüge ein Tropfen Blut unter dem Mikroskop, um die vergleichsweise großen Erreger, die einzelligen Plasmodien, zu erkennen.

Für die winzigen Dengue-Viren benötige man dagegen einen Bluttest, der zwar auch schon relativ schnell und billig, aber dennoch längst nicht in jeder Gesundheitseinrichtung der Welt verfügbar sei. Zudem sei er nicht besonders sicher. Eindeutige Nachweismethoden sind nach Auskunft Stadlers teuer und nicht in jedem Labor möglich. "Dengue ist so ein bisschen die vergessene Krankheit", ergänzt Stadler. Einen Impfstoff oder eine direkte Therapie gibt es bislang nicht. "Man kann nur Vorbeugung betreiben und die Symptome möglichst früh behandeln."

50 bis 100 Millionen Infektionen pro Jahr

Nach WHO-Schätzungen gibt es weltweit 50 bis 100 Millionen Dengue-Infektionen pro Jahr. Etwa 500.000 Menschen müssen in Kliniken behandelt werden, davon sterben etwa 2,5 Prozent, vor allem Kinder. Bei guter Versorgung sei die Todesrate zwar geringer. In einigen Ländern Südostasiens und Lateinamerikas ist Dengue nach Einschätzung der WHO dennoch eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern.

Die Überträgermücken Aedes albopictus und Aedes aegypti - oder deren Eier - reisen Stadler zufolge vor allem mit dem Containerhandel durch die Welt. Aber auch von Touristen werden sie verbreitet. "Das Insekt ist total anpassungsfähig, ein echter Überlebenskünstler. Und die bevorzugten Gebiete weiten sich aus, etwa Städte mit Kanälen und vielen kleinen Wasserflächen." Zur Reifung der Eier genügten schon kleinste Wassermengen, zum Beispiel in Joghurtbechern oder Altreifen. "Zudem hat die Mücke mit der sinkenden Zahl an Frosttagen auch bessere Überlebenschancen."

"Wir schätzen Dengue vom Potential her stärker ein als die Malaria, weil sich das Virus schneller verbreitet", sagt auch der Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg, Jonas Schmidt-Chanasit. Die Fallzahlen der Malaria seien zwar noch höher. Doch das Dengue-Virus gehöre zu den sich am schnellsten ausbreitenden Erregern weltweit. Sicher spiele auch die Verbreitung von Schnelltests eine Rolle beim Anstieg der registrierten Fälle. "Aber es gibt auch mehr Fälle."

Wenig Fälle in Europa

Schrecken in Europa verbreiteten zwei Meldungen aus dem Jahr 2010 über Dengue-Virus-Übertragungen auf dem Kontinent. Ein 72 Jahre alter Mann, der im August 2010 mit dem Auto nach Südkroatien gereist war, hatte kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland hohes Fieber sowie Kopf-, Glieder- und Augenschmerzen. Das berichtet das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Diagnose: Dengue-Fieber. Im September 2010 steckten sich zudem zwei Menschen in Südostfrankreich mit dem Virus an.

Rasend schnell verbreitet sich die Krankheit in Europa bislang dennoch nicht. In dem kleinen Gebiet im Südosten Frankreichs ist es bei den zwei Infizierten geblieben, in der betroffenen Region Kroatiens sind nach Angaben der EU-Seuchenbehörde ECDC nachträglich frühere Infektionen registriert worden. "Von beiden Gebieten ist bekannt, dass sich die Überträgermücke Aedes albopictus gut etabliert hat", schreibt das Institut. "Seit 2010 wurde in Europa keine weitere Übertragung bekannt", erläutert Schmidt-Chanasit. Das bedeute aber keine Entwarnung, da solch' eine Krankheit, je nach Temperatur und Niederschlag, mal häufiger und mal weniger auftrete. In Frankreich seien die Patienten zudem sofort isoliert worden.

Italien besonders gefährdet

In Europa ist Aedes albopictus, die sogenannte Tigermücke, schon viel weiter verbreitet als das Virus. "In Italien wird die Mücke überhaupt nicht oder mangelhaft bekämpft, so dass sie bereits im gesamten Land heimisch ist", kritisiert Schmidt-Chanasit. "Wir haben viele italienische Reiserückkehrer aus den Tropen, die mit einer Dengue-Virusinfektion nach Italien zurückkommen. Die müssen theoretisch nur gestochen werden, und dann ist das Virus dort." Zwar sei in Italien noch keine Dengue-Übertragung nachgewiesen worden, dies sei aber in den kommend Jahren zu erwarten. Stärker werde die Tigermücke in der Schweiz, Frankreich und Spanien bekämpft. In den Niederladen sei das Insekt über Glücksbambus-Pflänzchen aus China in Gewächshäuser transportiert, aber bislang nicht außerhalb davon nachgewiesen worden.

Es nutze nichts, mit Flugzeugen Insektizide großflächig zu versprühen. "Man muss in jeden Blumentopf, jeden Gulli beispielsweise eine Tablette mit dem biologischen Insektenmittel Bti (Bacillus thuringiensis israelensis) einbringen", sagt Schmidt-Chanasit. In Stadtstaaten wie Singapur lasse sich so etwas umsetzen, in Thailand sei es schwer. Besonders tückisch: Die Dengue-Viren können sich im Gegensatz zu Malariaerregern auch über die Mückeneier verbreiten.

Eine Studie von Anfang Mai zeigte dennoch, dass sich die Bekämpfung sogar finanziell lohnen kann: Auf Puerto Rico verursache Dengue jährliche Kosten von knapp 40 Millionen Dollar (30 Millionen Euro) durch Therapie und den Ausfall an Arbeitskraft, errechnete ein Team um Donald Shepard von der amerikanischen Brandeis University. Ein Dollar in die Bekämpfung der Mücke investiert spare 5 Dollar solcher Kosten.

Ein Todesfall in Deutschland

Im Südwesten Deutschlands seien bereits ein Mückenei und im vergangen Jahr auch ein Tigermücken-Weibchen entdeckt worden, ergänzt Schmidt-Chanasit. "Das sind jetzt Einzelnachweise, aber es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis sich die Mücke etabliert hat." Ob sich die Tigermücke in diesem Jahr dort ausbreite, werde in Zusammenarbeit mit der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Stechmückenplage (KABS) untersucht. Im Sommer werden Ergebnisse erwartet.

Bislang registrierte Deutschland einen Dengue-Todesfall: Eine 21 Jahre alte Reiserückkehrerin starb 2010 an Dengue - weil die Diagnose "Dengue-Fieber" nicht rechtzeitig gestellt wurde. "Ärzte hatten bei ihr eine Gallenblasenentzündung vermutet. Bei der Gallenblasenentfernung ist sie dann verblutet", sagt Schmidt-Chanasit. "In Deutschland mit unserer Intensivmedizin muss eigentlich bei frühzeitiger und richtiger Diagnose keiner an Dengue sterben." Man könne die Krankheit zwar nicht direkt, wohl aber deren Symptome behandeln und den Körper allgemein stärken.

Hat ein Mensch einmal die Attacke durch ein Dengue-Virus überstanden, ist er gegen diesen Typ immun. Es gibt aber vier verschiedene Dengue-Virustypen. "Daher kann jeder Mensch viermal im Leben erkranken", erläutert Schmidt-Chanasit. Jede weitere Infektion mit dem Erreger kann dann gefährlicher verlaufen. Die erste Infektion sei meist relativ leicht zu überstehen. Bei einer zweiten oder dritten Infektion könnten innere Blutungen jedoch zum Tod führen. Durch den internationalen Transport seien alle vier Dengue-Virustypen aber inzwischen weltweit verbreitet.
Nur ein Zehntel der Fälle wird entdeckt.

Das Robert Koch-Institut registrierte im Jahr 2001 noch 60 eingeschleppte Fälle. 2010 waren es schon knapp 600. Gründe seien die Zunahme der Fernreisen und die Verbreitung der Viren. Doch oftmals zeigt sich die Krankheit nur mit leichtem Fieber und wird gar nicht erst erkannt. "Wir gehen davon aus, dass ungefähr nur ein Zehntel der importierten Fälle diagnostiziert werden", erläutert Schmidt-Chanasit. Ärzte sollten bei kranken Reiserückkehrern Dengue stärker in Betracht ziehen: Hauptsymptome seien ein Hautausschlag am Rumpf, Fieber sowie Gliederschmerzen. Reisende könnten sich mit Abwehrmitteln schützen, die den Wirkstoff DEET enthalten. Ein Mückennetz helfe auch gegen die Tigermücke. "Man sollte die Netze aber auch zusätzlich mit Insektiziden besprühen."

Was aber lässt sich ansonsten in Entwicklungsländern tun? "Wir stärken die Gesundheitssysteme und fördern Umwelthygienemaßnahmen in Siedlungsräumen", meint GIZ-Experte Stadler. So werde die Bevölkerung aufgerufen, kleinste Wasseransammlungen zu vermeiden und das Umfeld von Häusern dementsprechend zu sanieren. Sümpfe und Straßengräben sollten trockengelegt werden. Auch die WHO und andere Organisationen fördern wieder, wie vor 50 Jahren, diesen Ansatz. "Das kommt jetzt wieder in Mode", meinte Stadler, nachdem die Nutzung des Insektizids DDT stark eingeschränkt und ein Teil der Mücken auch resistent dagegen geworden sei. "Mehr kann man eigentlich nicht machen."

AttachmentSize
image-352717-galleryV9-qnsw.jpg129.4 KB