Das Paradies ist immer anderswo
Von Gunther Neumann
Der britische Ethnologe und Autor Nigel Barley zeigt die Insel Bali als exotisch-erotisches Aussteiger-Elysium der 1930er Jahre.
Seit seinem Erstling "Traumatische Tropen" - eine Parodie auf den Völkerkunde-Klassiker "Traurige Tropen" von Claude Lévi-Strauss - hat sich Nigel Barley mit Humor und Selbstironie eine internationale Fangemeinde geschaffen. Von Westafrika machte sich der englische Ethnologe in den Osten Asiens auf. Wohl wegen Indonesiens Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse 2015 wurde Barleys bereits 1994 erschienene Sulawesi-Reiseniederschrift "Hallo Mister Puttymann" unter dem Titel "Auf den Spuren von Mr. Spock" neu aufgelegt. Der Autor ward hinfort vom Inselreich angetan, ließ sich dort nieder, und wurde - auch - zum Romancier.
Nicht nur einmal war Indone-sien die bunt gesprenkelte Projektionsfläche europäischer Phantasien vom irdischen Paradies. Erst kurbelten sagenhafte Gewürzinseln die frühe Globalisierung an. Später träumten deutsche Landsknechte von "exotischen Schönheiten für eine Münze" und heuerten für die Ostindien-Kompanie an. Vor bald hundert Jahren schließlich wurde ein Eiland für westliche Künstler, Intellektuelle und reiche Bohemiens zum neuen Sehnsuchtsort eines erotisch-alternativen Lebens: Bali.
Information
Nigel Barley
Bali. Das letzte Paradies
Roman. Aus dem Englischen von Anke Burger. Klett-Cotta, Stuttgart 2015, 271 Seiten, 19,50 Euro.
Fernwehgetriebene
Die meisten heutigen Besucher kennen die hinduistische Insel aus der Perspektive der Strandhotels im Süden, vielleicht noch von einem Tagesausflug zum einstigen, längst überlaufenen Künstlermekka Ubud. Hier und in den 1930er-Jahren hat der Autor "Bali - Das letzte Paradies" angesiedelt. Literarisch leichtfüßig geht Barley den Spuren damaliger westlicher Fernwehgetriebener und Aussteiger nach.
In literarisch verdichteter Form stellen sich fast alle Berühmtheiten ein, die Bali in jenen Jahren besuchten: Charlie Chaplin, Cole Porter, Noël Coward, die Weltumfliegerin Elly Beinhorn oder die Anthropologin Margaret Mead. Die meisten wohnten zeitweilig bei einem schillernden Russland-Deutschen: Walter Spies. Der libertär-exzentrische Freigeist war zuvor Kapellmeister am Hof des Sultans von Yogyakarta auf Java, und ließ sich 1927 in Ubud auf Bali nieder. Voll Situationskomik lässt Barley den Musiker Colin McPhee gemeinsam mit Spies an zwei auf die Fünf- bzw. Sieben-Ton-Gamelan-Musik gestimmten Flügeln auftreten. Auch Vicki Baum kommt vorbei, mietet sich ein - und schreibt ihren Roman "Liebe und Tod" über die holländische Eroberung Südbalis - dank Spies’ profunden Landeskenntnissen. Der selbstironische Ich-Erzähler des Romans ist Rudolf Bonnet, ein ebenfalls realer niederländischer Maler jener Tage, dem Barley auch eine erotische Beziehung mit Spies andichtet.
Barley kennt die historischen Fakten. In "Island of Demons" (so lautet der Buchtitel auf Englisch; und so hieß auch ein Film des Multitalentes Spies) würzt der Autor farbenprächtige Beschreibungen von Landschaft, Menschen, Riten und Tänzen mit einer gehörigen Portion ihm eigener, manchmal slapstickhafter Pointen. Das geht manchmal etwas auf Kosten der Figuren-Tiefe.
Exotisierender Blick
Der vielseitige Musiker und Maler Spies war von der Insel der Götter und Dämonen inspiriert. Gleichzeitig beeinflusste und förderte er lokale Künstler. Kritiker meinen, Spies habe den westlich-exotisierenden Blick auf Bali überhaupt erst erfunden. Der Romanautor Barley nimmt das alles nicht so ernst und so genau. "Das letzte Paradies" ist keine Erzählung vom bedrohten Klischee, sondern vielmehr eine witzig-kurzweilige Verbindung von romanhafter Biographie, schalkhaft-leichtfüßiger Fik-tion und mehr oder weniger gelungenen Wortspielen mit einer Menge kulturgeschichtlicher Details.
Mancher kritische Leser mag sich daran stoßen, dass Barleys britischer Humor bis zum bitteren Ende der Aussteigergemeinde um Walter Spies im Jahr 1939 keine mögliche Pointe auslässt. Als literarischer Führer in die Fernweh-Projektionen der dreißiger Jahre taugt "Das letzte Paradies" allemal.
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