Als der Tod nach Europa kam. Ausbruch des Vulkans Tambora

Die größte Katastrophe in der Menschheitsgeschichte war der Tambora-Ausbruch nicht: "Das war wahrscheinlich die Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra vor 76.000 Jahren", erklärt Walter. "Er war um den Faktor 20 gewaltiger, über 2800 Kubikkilometer Asche sind dabei ausgeworfen worden." Forscher sprechen von einem sogenannten genetischen Flaschenhals: Nur wenige Tausend der Menschen damals überlebten die auf den Ausbruch

Als der Tod nach Europa kam
Hunger und Seuchen brachte der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien vor 200 Jahren. Eine ähnlich verheerende Eruption ist in der Nähe des Vesuvs möglich

Von Annett Stein
Als "Jahr ohne Sommer" ging 1816 in die Geschichtsbücher ein. Unzählige Menschen in Europa verhungerten oder wanderten aus, weil auf den Feldern kaum etwas wuchs, die mageren Ernten im Dauerregen vermoderten und das Vieh verendete.

Dass die Not auf eine noch weit verheerendere Katastrophe zurückging, ahnten die Menschen vor 200 Jahren nicht: Auf der kleinen indonesischen Insel Sumbawa hatte der Vulkan Tambora Anfang April 1815 Dutzende Kubikkilometer Magma aus seinem Schlund geschleudert – der Ausbruch gilt als der größte von Menschen dokumentierte.

Die Berichte stammen allerdings kaum von Sumbawa selbst: Überlebt haben nur jene, die die Insel rechtzeitig verließen. Noch auf der mehr als 2500 Kilometer entfernten Insel Sumatra soll der Ausbruch zu hören gewesen sein, Tsunamis trafen auf die Inseln der Region, der Himmel verdunkelte sich für Tage. Mehr als 10.000 Menschen sollen unmittelbar gestorben sein, mehr als 60.000 allein in der Region an den Folgen. Auf einer Skala von 0 bis 8 liege der aus Volumen und Eruptionshöhe berechnete Vulkanexplosivitätsindex (VEI) des Tambora bei 7, erklärt Thomas Walter vom Geoforschungszentrum Potsdam. "Ein solcher Ausbruch kommt nur alle 1000 Jahre vor."

Der Vulkan, mit rund 4300 Metern einer der höchsten Gipfel des Archipels, fiel in sich zusammen – und misst nun noch knapp 2900 Meter. Eine sieben Kilometer durchmessende Caldera bildete sich. Es blieb nicht bei der regionalen Katastrophe.

In Mitteleuropa und Nordostamerika zeigten sich die Folgen 1816: Das Jahr hatte gerade zum Frühling angesetzt, da kehrte der Schnee zurück. Die Kälte blieb. In Regionen wie der Schweiz und Baden-Württemberg hörte es über Monate kaum mehr auf zu regnen oder zu schneien. Auf Tauwetter folgten extreme Hochwasser. Die Getreidepreise vervielfachten sich, Arme versuchten, ihren Hunger mit Gras zu stillen. Die schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts nahm ihren Lauf. "Die Region war ohnehin schon ausgelaugt durch die Napoleonischen Kriege", erklärt Claus-Peter Hutter, Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg.

"Und dann kam der vulkanische Winter." Gemälde aus jener Zeit, etwa von Caspar David Friedrich, zeigen glühend rote Sonnenuntergänge, weil von Vulkanaerosolen nur die langwelligen, rötlichen Strahlen durchgelassen werden. Mary Shelley soll ihren Roman "Frankenstein" geschrieben haben, weil sie wegen des vielen Regens kaum das Haus in der Nähe des Genfersees verlassen konnte, in dem sie zu Gast war.

Bis 1817 habe es kaum Ernten gegeben, sagt Hutter. "Die Menschen haben ihre Zugtiere geschlachtet und die Saatkartoffeln wieder ausgegraben in ihrer Not." Mit Gipspulver, Eichel- oder Sägemehl gestreckte Hungerbrötchen seien gebacken worden. "In manchen Kirchen sind noch Hungerbrote in Glaskästen zu sehen, die aus Dankbarkeit aufgehängt wurden, als es von 1818 an wieder besser wurde." Etliche Menschen waren da längst in die USA ausgewandert.

Das "Jahr ohne Sommer" habe aber auch Gutes zur Folge gehabt, ergänzt Hutter. "Es gab ein Feuerwerk an Innovationen." Ein Glück für Württemberg sei gewesen, dass es gerade von König Wilhelm I. regiert wurde: Der war mit der Zarentochter Katharina Pawlowna verheiratet, die Getreidehilfslieferungen aus Russland ins Rollen brachte. Und er setzte sich engagiert für Verbesserungen zugunsten aller ein.

Das Paar habe zum Beispiel eine landwirtschaftliche Hochschule gegründet – aus der später die Universität Hohenheim hervorging. Um verbesserte Gerätschaften rasch großflächig einzuführen, seien die entwickelten Eggen und Pflüge als kleine Modelle in großer Auflage aus Holz und Eisen nachgebaut und an die Handwerker verteilt worden. Die Vorläufer der Sparkassen seien zu jener Zeit entstanden, bei denen die Bauern einen Notgroschen deponieren konnten, sowie neue Schweinerassen wie das Schwäbisch-Hällische Landschwein. "Und Wilhelm I. ließ 1818 eine Landwirtschaftsmesse ausrichten, eine Mischung aus Erntedankfest und Ausstellung an einem Tag, zu der 30.000 Menschen kamen", sagt Hutter. "Das war der Vorläufer des Canstatter Wasen."

Die größte Katastrophe in der Menschheitsgeschichte war der Tambora-Ausbruch nicht: "Das war wahrscheinlich die Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra vor 76.000 Jahren", erklärt Walter. "Er war um den Faktor 20 gewaltiger, über 2800 Kubikkilometer Asche sind dabei ausgeworfen worden." Forscher sprechen von einem sogenannten genetischen Flaschenhals: Nur wenige Tausend der Menschen damals überlebten die auf den Ausbruch folgenden dunklen Kältejahre, schlossen Wissenschaftler aus Erbgutanalysen. "Der Toba-Ausbruch war ein VEI 8", sagt Walter. Ein Supervulkan vergleichbarer Größenordnung sei der Yellowstone-Komplex im US-Staat Wyoming.

Weit sorgenvoller blicken Vulkanologen derzeit allerdings auf ein VEI-7-Vulkangebiet in Europa: die Phlegräischen Felder westlich des Vesuv. "Bis 2006 war das Gebiet in einer Absenkungsphase, seit 2013 hebt es sich so stark wie noch nie zuvor beobachtet", erklärt Walter. "Da braut sich was zusammen, aber ob und wann es letztlich zu einem Ausbruch kommt, kann niemand sagen." Der Komplex gehöre glücklicherweise zu den bestbewachten Vulkanen weltweit. "Er ist eine Art internationaler Laborvulkan, an dem zahlreiche Studien mit innovativsten Technologien stattfinden."

Allerdings leben etwa zwei Millionen Menschen im Einflussgebiet der Phlegräischen Felder. "Und eine Evakuierung in sehr kurzer Zeit ist dort unmöglich, da wäre mindestens eine Woche nötig", schätzt Walter. Wie beim Ausbruch des Vesuv drohen pyroklastische Ströme, die mehrere Hundert Grad heiß sind und rasend schnell die Hänge hinabrasen. Welche Folgen eine Eruption am Golf von Neapel für andere Regionen hätte, lasse sich nicht prognostizieren, ergänzt der Vulkanforscher. Das hänge unter anderem davon ab, welche Mengen Asche und Aerosole in die Stratosphäre gelangten. Eines aber sei sicher: "Ein VEI-7-Ausbruch hat immer globale Auswirkungen."

Kann die Menschheit somit aus den Erfahrungen mit Vulkaneruptionen auch etwas lernen? Baden-Württembergs Umweltschützer Hutter hofft es: "Der Ausbruch des Tambora zeigt, wie sehr Naturkatastrophen die Geschichte beeinflussen können. Solche Katastrophen können wir nicht verhindern – andere aber schon." Der menschengemachte Klimawandel sei hier ein Beispiel. Hutter vielsagend: "Das Wissen ist da. Aber wird es noch rechtzeitig in geeignete Maßnahmen umgesetzt?"
uch folgenden dunklen Kältejahre, schlossen Wissenschaftler aus Erbgutanalysen. "Der Toba-Ausbruch war ein VEI 8", sagt Walter. Ein Supervulkan vergleichbarer Größenordnung sei der Yellowstone-Komplex im US-Staat Wyoming.

Weit sorgenvoller blicken Vulkanologen derzeit allerdings auf ein VEI-7-Vulkangebiet in Europa: die Phlegräischen Felder westlich des Vesuv. "Bis 2006 war das Gebiet in einer Absenkungsphase, seit 2013 hebt es sich so stark wie noch nie zuvor beobachtet", erklärt Walter. "Da braut sich was zusammen, aber ob und wann es letztlich zu einem Ausbruch kommt, kann niemand sagen." Der Komplex gehöre glücklicherweise zu den bestbewachten Vulkanen weltweit. "Er ist eine Art internationaler Laborvulkan, an dem zahlreiche Studien mit innovativsten Technologien stattfinden."

Allerdings leben etwa zwei Millionen Menschen im Einflussgebiet der Phlegräischen Felder. "Und eine Evakuierung in sehr kurzer Zeit ist dort unmöglich, da wäre mindestens eine Woche nötig", schätzt Walter. Wie beim Ausbruch des Vesuv drohen pyroklastische Ströme, die mehrere Hundert Grad heiß sind und rasend schnell die Hänge hinabrasen. Welche Folgen eine Eruption am Golf von Neapel für andere Regionen hätte, lasse sich nicht prognostizieren, ergänzt der Vulkanforscher. Das hänge unter anderem davon ab, welche Mengen Asche und Aerosole in die Stratosphäre gelangten. Eines aber sei sicher: "Ein VEI-7-Ausbruch hat immer globale Auswirkungen."

Kann die Menschheit somit aus den Erfahrungen mit Vulkaneruptionen auch etwas lernen? Baden-Württembergs Umweltschützer Hutter hofft es: "Der Ausbruch des Tambora zeigt, wie sehr Naturkatastrophen die Geschichte beeinflussen können. Solche Katastrophen können wir nicht verhindern – andere aber schon." Der menschengemachte Klimawandel sei hier ein Beispiel. Hutter vielsagend: "Das Wissen ist da. Aber wird es noch rechtzeitig in geeignete Maßnahmen umgesetzt?"

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